Fingerschlinge im Bogensport

25.06.2023, von Oliver Manz
Compound-Schützin
Sabine Neumann - LTG Löwen
Quer durch alle Bogenarten sehe ich immer wieder Schützen, die ohne Bogen- oder Fingerschlinge schießen. Die Argumentationslinien reichen von »ich kann das nicht mit Schlinge« bis zu »das macht man nicht beim Langbogen«. Ich möchte darlegen, warum ich der Ansicht bin, dass alle Bogenarten mit Fingerschlinge geschossen werden sollten, und zwar von der ersten Trainingsstunde an. Ich werde versuchen, meine Meinung zu begründen. Dennoch bleibt es nur eine Meinung und jeder Leser ist eingeladen, eine andere zu haben.

Was wir eigentlich wollen

Bogensport ist einfache Physik. Newtonsche Kraftgesezte. Befinden sich Bogen und Pfeil in Ruhe, so heben sich alle wirkenden Kräfte gerade auf, sonst würde irgendwas igendwohin beschleunigt (F = ma). Lösen wir den Schuss, dann wollen wir ja auch genau das. Nur halt nicht irgendwas irgendwohin, sondern den Pfeil zum Gold.
Schematische Darstellung der Kräfte auf einen Bogen.
Abb. 1 - Kräfte und ihre Wirkung auf den Schuss
Abb 1a zeigt dabei einen idealisierten Kraftverlauf im Vollauszug. Es treten genau zwei Kräfte auf: die Zugkraft, welche die Zughand auf die Sehne ausübt und die Gegenkraft der Bogenhand auf den Bogen. Alle Kräfte verlaufen also entlang der Pfeilachse wie es sein sollte.

1b zeigt dagegen einen nicht idealen Vollauszug. Es wirken Torsionskräfte auf Griff und Sehne. Auch diese müssen sich gerade aufheben. Lösen wir den Schuss (1c), so fällt die mit der Zughand aufgebrachte Kraft weg. Es bleibt die Torsionskraft am Griff übrig und der Bogen beginnt augenblicklich, sich zu drehen. Mist.

Der Griff als Drehgelenk

Kleines Gedankenexpertiment: statt den Bogen in der Hand zu halten, befestigen wir am Griff ein Drehgelenk. Was würde nun passieren, wenn die Zughand beim Auszug Torsionskräfte erzeugt? Der Bogen würde sich unmittelbar drehen, da es nichts gibt, was die Drehung verhindern könnte. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass im Vollauszug keine Torsionskräfte mehr auftreten können. Genau da wollen wir hin - mit einem richtigen Griff. Bei den Bogenarten wird dieser leicht unterschiedlich ausgeführt (z.B. ist der Griff beim Compound flacher als beim Recurve), dennoch sind die Anforderungen gleich: keine Quer- oder Torsionskräfte auf den Bogen ausüben.

Druckpunkt auf dem Daumenballen
Abb. 2 - Druckpunkt auf dem Daumenballen

Die Bogensportler sprechen dabei vom Druckpunkt, also dem Punkt, auf dem der Bogen Druck auf die Hand ausübt. Abb 2 zeigt eine übliche Position dieses Punktes auf dem Daumenballen.

Das Titelbild ganz oben zeigt unsere Sabine im Vollauszug. Der Bogen liegt auf dem Daumenballen. Man kann auch erkennen, dass der Bogen nicht gehalten wird - die Finger sind neben dem Griff locker eingerollt.

Fingerchen schnapp

Wir sind fast am Ziel. Im Moment des Lösens fällt die Zugkraft plötzlich weg und es bleibt nur die Gegenkraft, also die Kraft der Bogenhand auf den Griff, übrig. Der Bogen beschleunigt nach vorne.

Nach vorne ist eigentlich nicht schlimm, solange der Bogen Richtung Gold fliegt. Problematisch ist es aber, wenn er daran gehindert werden muss, scheppernd zu Boden zu fallen. Die Finger schnappen zu und es ist beinahe unmöglich, den Bogen einfach in der Luft zu stoppen ohne weitere Störungen auszuüben. Daher ist es besser, den Bogen einfach fliegen zu lassen, was aber natürlich nur mit einer Schlinge geht.

Nach ein paar Millisekunden ist der Spuk dann vorbei: der Pfeil hat den Bogen verlassen, der Bogen fliegt in aller Ruhe in die Schlinge und wird von dieser sicher gefangen. Abb 3 zeigt den Griff an einem Compound-Bogen vor und Abb 4 nach dem Schuss. Der Bogen hängt in der Schlinge. Warum mein Handgelenk abgeknickt ist und was mein Zeigefinger da auf dem Griff macht? Darum kümmern wir uns ein anderes mal.

Griff im Vollauszug.
Abb. 3 - Griff im Vollauszug (Compound)
Handhaltung nach dem Lösen.
Abb. 4 - Griff nach dem Lösen (Compound)

Fazit

Es braucht intensives Training, um eine Bewegung zu automatisieren. Es braucht noch wesentlich mehr Anstrengung, falsche Engramme wieder zu löschen. Zumal diese Arbeit unglaublich frustrierend ist. Ich kann daher nur raten, gleich von Anfang an mit Schlinge zu schießen. Und ich möchte auch noch mal an die Blank- und Langbogenschützen appellieren, mit Schlinge zu schießen. Was ich höre, lese und erlebe, werden die Gruppen kleiner und es gibt keine Regel, welche die Schlinge verbietet. Warum also darauf verzichten?

Bitte mit Trainer

Ein falscher Griff kann genau wie eine falsche Fingerposition auf der Sehne ernste Probleme in den Händen hervorrufen. Bitte sprecht mit eurer Trainerin oder eurem Trainer bevor ihr mit der Arbeit beginnt.

Literatur

Haidn, Weineck, Haidn-Tschalova - Bogenschießen - ISBN 978-3-938509-74-6 (S. 388ff)
Lee, de Bondt - Total Archery - ISBN 978-8995611906 (S. 38ff)